Die Jungfernfahrt
des Würzburger
Jazz-Frachters
Gastredaktion & Interview
Marc Hoinkis
Ist das Modern Creative? Nu Jazz? Tango? Oder einfach smooth? Egal. Auf jeden Fall zieht es einen mit! Frachter scheinen ihrem Motto alle Ehre zu machen: „Wir transportieren, was uns bewegt.“
Frachter ist ein sechsköpfiges Jazz-Ensemble aus Würzburg, dessen Mitgliedern scheinbar viel durch den Kopf geistert. Julia Frach (Gesang, Komposition und Arrangements), Sebastian Wagner (Tenor Saxophon und Bass Klarinette), Nadine Soppa (Akkordeon), Thomas Eilingsfeld (Gitarre), Sabrina Damiani (Kontrabass und E-Bass) und Ludwig Buschendorf (Schlagzeug), übrigens alle HfM Würzburg Preisträger*Innen, haben ein Album geschmiedet, bei dem man manchmal weinen, lachen oder sich einfach wild im Kreis drehen will. Bei einem Song findet man sich auf dem Kirmes-Karussel, beim nächsten in einem David Lynch Film wieder. Die Kirsche auf dem Eis sind dabei die freien Soli, bei denen jeder zeigen darf, was sie oder er drauf hat. Und das ist in jedem Falle eine ganz eigene Überraschung!
Bunte Vielfalt
„Virgo“ heißt die Platte und besteht aus zwölf beeindruckenden Songs, der eine facettenreicher als der nächste. Acht davon sind Eigenkompositionen. Die restlichen vier wird der eine oder andere sicherlich schon einmal gehört haben. Dabei ist die Auswahl genau so überraschend wie überzeugend!
Das Album beginnt mit dem Song „Arrows“, der gleich das Feeling eines schwarz/weiß Krimis verbreitet. Bereits hier fallen das abwechslungsreiche Arrangement und die komplexen Wesenszüge der einzelnen Instrumente auf. Der leidenschaftliche Gesang Julia Frachs fügt sich wunderbar in das Soundgeflecht ein.
Die Assoziation zum Tango passt wohl am ehesten auf den verführerischen Song „Messie“, der dem Hörenden seinen lateinamerikanischen Flair direkt in den Nacken haucht. Es geht um eine Frau, die sich wohl etwas hat gehen lassen und sich mal wieder aufraffen sollte – ein wahrscheinlich ungewollt aktueller Song. „If you don't want to lose, get up and move, move, move!“
„Patterns“ ist ein zwiespältiges Stück, das den Hörenden repetitiv in einen angenehmen Wahnsinn treibt. „Living and thinking in patterns“ ist das Thema des Stücks, dass einerseits in einem dissonanten, etwas irren Teil und einem harmonisch ausgeglichenen Teil ausgelebt wird. Ebenfalls ein aktuelles Thema. Hier kommen auch zum ersten Mal pointierte Studiogimmicks á la Bibi Blocksberg „Hex Hex-Effekt“ zum Einsatz, die den Inhalt des Textes unterstützen. Der Song ist ein gutes Beispiel dafür, wie tight die Band spielt!
Beim vierten Stück, „Cry Me a River“, handelt es sich um eine Version des Hits von Justin Timberlake. Allerdings ist diese weniger ein Cover, als eine völlige Neu-Interpretation. Nadine Soppas Akkordeon erweckt einen hanseatischen Eindruck, der sofort an einen Frachter erinnert, der über den „River“ schippert. Zufall? Auch Buschendorfs Drums scheinen zu schwimmen und den kraftvollen, Chanson ähnlichen Gesang hin und her zu wiegen. Spätestens hier fordert die Musik solch pathetische Formulierungen. Definitiv eines der interessantesten Arrangements auf diesem Album!
Kurze Pause
„Silence“ ist eins der lässigeren Stücke des Albums, durch das Julia Frach mit ihrer geheimnisvoll sanften Stimme zu schleichen scheint. Sehr ruhig und entspannend federt es die vorherigen Klangraketen ab und gönnt den Ohren eine kurze Pause. Die Drums erinnern übrigens stark an Steve Gadds Fifty Ways, aber das nur am Rande...
In „Uncaging“ zeigt sich eine verführerische und mysteriöse Julia Frach, die mit einer vorsichtigen Stimme von einer, möglicherweise ihrer eigenen Entfesselung erzählt. Die Band bewegt sich in diesem Stück besonders frei und unterstützt damit die Geschichte.
„Pleasure is the Meassure“ beschwört ein surreales Gefühl herauf, das man auch in einem David Lynch Film erwarten würde. Das vergleichsweise schnelle Stück lebt vom durchdringenden Bass Sabrina Damianis und dem wechselhaften Gesang, der zwischen hypnotischem Geflüster, Passagen á la Rat Pack und fröhlichem Singsang hin und her springt. „I carry you, you carry me“ ist hier die feierliche Aussage, die sich auch in der Musik ausdrückt: Stimme und Instrumente ergänzen sich perfekt.
„Tissues“ ist ein melancholisches Stück, das mit seiner ruhigen und schwermütigen Stimmung zum schluchzenden Schunkeln einlädt. Das schläfrige Saxophon-Solo von Sebastian Wagner ist einer der emotionalen Höhepunkte des Albums. „Tissues for every issues“ bietet Julia Frach an. Ich nehme eins!
Zeitreise
„King of Pain“ ist eine Interpretation des Police Stücks von 1983. Es wirkt eigentlich eher konventionell, wobei der treibende Rhythmus angenehm vom beruhigenden Gesang kontrastiert wird. Julia Frachs Stimme ist Balsam für die Seele! Die kleinen Studiogimmicks auf der Gesangsspur geben dem Song etwas mehr Raum.
„If Love's a Sweet Passion“ ist eine Reharmonisierung, also vereinfacht gesagt eine musikalische Bearbeitung des barocken Stücks von Henry Purcell, dass in der Masque „The Fairy-Queen“ (1692) einen Teil des dritten Aktes bildet. Frachter haben daraus eine wirklich coole Jazznummer gezaubert und bewiesen, dass ein vergleichsweise sehr altes Stück auch noch in unserem Jahrtausend heftig grooven kann.
„Maniac“ ist eine weitere Interpretation, nämlich des Disco Klassikers von Michael Sembello, ebenfalls von 1983. Der Song ist wirklich cool aufgemacht, vor allem bekommt das Akkordeon hier eine tragende Rolle. Was dieses Stück so besonders abenteuerlich macht: Ein Song, in dem es um das tanzen geht, bekommt durch eine so andere Musik auch eine völlig neue Assoziation. Wirklich spannend, wenn man sich einmal darauf einlässt.
„Things Behind the Sun“ ist eigentlich eine Nummer von Nick Drake aus dem Jahre 1972 und wurde hier neu poliert. Es ist das einzige Stück, das irgendwie so gar nicht jazzig, sondern eher ziemlich poppig daher kommt. Schade eigentlich. Allerdings rundet es das doch eher turbulente Album sehr gut ab, vor allem durch das gut gelaunte Arrangement, welches den trüben Nick aus seiner bedrückten Stimmung lockt. Thomas Eilingsfelds sonnige Gitarre gibt dem ganzen ein sommerliches Ambiente, das zurzeit sicherlich viele Menschen gebrauchen können. Okay, ich nehme alles zurück, der Song überzeugt!
Was sagt die Meisterin selbst?
Alle Achtung, Frachter bringen wirklich eine Menge frischen Wind mit sich. Sie klingen lebendig und modern, ihr musikalisches Selbstbewusstsein ist wirklich beeindruckend. Die prallgefüllten Arrangements sind nie überladen und interessant segmentiert. Jeder einzelne Instrumentalist strotzt nur so vor Ideenreichtum. Besonderes Lob gilt meiner Meinung nach dem Schlagzeuger Ludwig Buschendorf!
In einem Interview mit der sehr charmanten Julia Frach plaudert sie etwas aus dem Nähkästchen:
Marc Hoinkis: Hallo Julia! Schön, dass du Zeit für ein Telefonat hast. Ich habe gerade euer Album gehört. Was läuft denn so zu Corona-Zeiten bei dir für Musik?
Julia Frach: Also tatsächlich ganz wenig. Ich genieße es draußen zu sein und so wenig wie möglich zu hören. Wir sind hier im Haus noch zwei andere Musiker, die man gelegentlich üben und improvisieren hört. Ich übe und komponiere, aber Musik höre ich kaum, eher im Gegenteil. Wir arbeiten ja alle als Musiker. Ich habe 30 Schüler auf die ich mich konzentrieren muss und da ist die Entspannung dann, wenn ich einfach mal nichts höre.
Marc Hoinkis: Ja, das kann ich nachvollziehen! Ich habe neulich von deinem Lampenfieber gelesen, das du überwunden hast. Hat das eigentlich einen Einfluss darauf, wie du Musik komponierst oder konzipierst?
Julia Frach: Also, beim Singen hatte ich nie Auftrittsangst, aber beim Klavierspielen war das ganz krass. Ich habe so viel geübt und bin dann bei Auftritten oder Prüfungen total vor die Wand gefahren. Beim Singen ist das völlig anders: Da gehe ich auf die Bühne, bin entspannt und freue mich Musik zu machen. Daher würde ich sagen, dass mein Lampenfieber meine Art und Weise nicht beeinflusst, wie ich Musik mache. Es sind eher Dinge und Geschichten die mich beschäftigen. Jeder hat ja Konflikte, Situationen und Eindrücke über die man nachdenkt oder die einen berühren. Und wenn dann mal keine Musik läuft, setze ich mich ans Klavier und dann kommt mir eine Idee, wie ich das verpacke. Das Lampenfieber hat damit aber nichts zu tun.
Marc Hoinkis: Ich habe gesehen, dass du auf dem Album alles arrangiert und komponiert hast. Hast du da eine bestimmte Herangehensweise?
Julia Frach: Ja, auf dem Album habe ich alles arrangiert und reharmonisiert, wenn es da Bedarf gab. Wir sprechen aber auch in der Band zusammen über gewisse Feelings und probieren aus, was da passt. Ich habe bisher immer versucht, meine genaue Vorstellung strikt zu notieren. Daher klingen die meistens Arrangements eher sehr strukturiert. Es fängt jetzt aber an, sich etwas freier zu verhalten, weil der Rest der Band Lust hat, sich mit einzubringen und wir wollen jetzt mehr aufeinander eingehen. Die Songstrukturen auf dem Album und die Pop-Cover werden wir wohl in Zukunft tendenziell eher verlassen, oder besser gesagt: Wir werden uns da etwas mehr öffnen.
Marc Hoinkis: Könnt ihr denn zurzeit überhaupt proben oder sonst irgendwie zusammen arbeiten?
Julia Frach: Grade ist es sehr schwierig. Wir haben jetzt Anfang Juni einen Videodreh in Magdeburg, da werden wir uns das erste Mal wieder sehen. Im Zuge dessen proben wir dann auch. Aktuell zu Corona-Zeiten haben wir uns gar nicht gesehen. Das macht aber auch nichts, da es immer viel zu tun gibt. Die einen kümmern sich ums Booking, die anderen um die Webside, ich schreibe neue Stücke... Der Lockdown hat uns nicht so hart getroffen, weil wir uns sowieso nur alle 2 Monate für zwei, drei Tage treffen, weil jeder von uns ja auch arbeitet oder studiert. Ein paar von uns wohnen auch in verschiedenen Städten. Wir sind keine Band, die sich regelmäßig Mittwochs zum proben trifft, sondern eher alle paar Monate, aber dann drei Tage richtig intensiv.
Marc Hoinkis: Wie habt ihr euch denn kennen gelernt?
Julia Frach: Wir kommen alle von der Hochschule für Musik in Würzburg. Unsere Akkordeonistin hat klassisches Akkordeon studiert und macht jetzt auch den Master. Unser Schlagzeuger, die Bassistin, der Gitarrist und der Saxophonist kommen alle aus der Jazz-Abteilung und ich bin mit der elementaren Musikpädagogik und Jazz im Nebenfach eher so dazwischen. Die HfM ist so klein, wir kannten uns vorher schon irgendwie. Mit dem Gitarristen hatte ich schon einmal gespielt und dann haben wir die Akkordeonistin gefragt, ob sie es mit uns ausprobieren will. Ich mag die Klangfarbe des Akkordeons sehr, es klingt so warm. Der einzige den ich nicht kannte, war der Schlagzeuger. Nach den ersten Proben haben wir dann schon bei einem Wettbewerb gespielt und sind dann im Endeffekt zusammen geblieben.
Marc Hoinkis: Jetzt mal zu eurem Album: Was hat es denn mit dem Namen auf sich?
Julia Frach: Wir hatten die Idee von einer „Jungfernfahrt“ unseres Debutalbums, mit dem wir uns in die Öffentlichkeit wagen. Das Album hatte tatsächlich aber auch praktische Gründe: Wenn du keine guten Aufnahmen hast, kannst du einfach nirgendwo spielen. Dass wir ein Label gefunden haben, war auch eher Glück. Die Idee war eigentlich eher eine bescheidene: Wir probieren's mal.
Marc Hoinkis: Ihr seid ja für eure freien Soli bekannt. Ist das auf dem Album dann auch so?
Julia Frach: Na klar! Das geht gar nicht anders. Wir haben natürlich feste Harmoniestrukturen, aber die meisten Soli sind in der Form offen. Wir hatten es neulich bei einem Konzert, dass sich der Saxophonist so frei gespielt hat, dass die komplette Rhythmusgruppe ausgestiegen ist und er alleine soliert hat und irgendwann die Rhythmusgruppe wieder dazu geholt hat. Keiner wusste, was jetzt passiert und das überträgt sich auch aufs Publikum und macht total Spaß. Wir würden uns wohl alle langweilen, wenn es immer gleich wäre... Das ist der lebendige Part.
Marc Hoinkis: Ja, das merkt man! Habt ihr euer Album eigentlich bei Nikolaus Recording aufgenommen?
Julia Frach: Nein, das haben wir im Waldhausstudio bei Magdeburg aufgenommen. Das war sehr schön, es ist ein tolles Studio. Die Arbeit mit Mohi Buschendorf hat total Spaß gemacht. Ich hatte wenig Erfahrung mit der Studioarbeit und die ganze Atmosphäre im Studio hat uns allen sehr gut getan. Wir waren da drei Tage, haben dort gekocht, geschlafen und aufgenommen. Das hat uns alle auch noch einmal etwas näher zusammen gebracht.
Bei Nikolaus Recording haben wir vor zweieinhalb Jahren einfach mal vier Songs aufgenommen. Das war auch echt cool, aber die komplette CD haben wir dann im Waldhaus Studio aufgenommen. Ein Vorteil dabei war natürlich, dass unser Schlagzeuger der Sohn von Mohi Buschendorf ist und sich da gut auskannte. Er hat unser Album zur Hälfte selber produziert. Das war für ihn auch das erste Mal.
Marc Hoinkis: Dann war es für ihn ja eine doppelte Jungfernfahrt. Plant ihr eigentlich ein neues Album?
Julia Frach: Also ich schon! Der Rest der Band muss sich aber erst einmal anhören, was ich da so komponiere. Ich schreibe im Moment auf Deutsch, das ist auf jeden Fall neu für mich. Wir laufen grade auf einem kanadischen Radiosender, ich weiß nicht, ob das auch mit deutschen Songs klappt. Da gibt es wohl noch Gesprächsbedarf. Wir sind jetzt schon relativ lange mit diesem Album unterwegs, weil es ja auch lange dauert so eine CD zu produzieren und herauszubringen. Ich habe zwar Megalust auf neue Sachen, aber wir werden jetzt erst einmal das Album spielen. Das nächste Album kommt aber garantiert!
Marc Hoinkis: Das sind doch schöne Aussichten! Wisst ihr schon etwas über zukünftige Gigs?
Julia Frach: Also, wir spielen definitiv im Sommer 2021 im Baumwipfelpfad im Steigerwald, das wird atmosphärisch sehr schön. Im Zuge dessen wollen wir auch versuchen auf anderen Veranstaltungen zu spielen. Bei kleineren Sachen sind wir bestimmt, bei größeren Sachen weiß ich es noch nicht. Ich weiß auch nicht was mit dem Video passiert, dass wir in Magdeburg aufnehmen. Wir hatten bisher wenig Bildmaterial. Wenn das da ist, können wir weiter schauen, wie die Leute darauf reagieren.
Marc Hoinkis: Ich bin gespannt! Eine letzte Frage habe ich noch: Platte oder CD?
Julia Frach: Auf jeden Fall Platte!
Marc Hoinkis: Das habe ich erwartet. Danke für das nette Gespräch, ciao!
Einfach mal reinhören: www.frachter-band.de